Die Matrix des Institutionellen
Martin Fritz
Wenn in der Kunstwelt von «den Institutionen» die Rede ist, dann regiert häufig die Generalisierung. Doch auch in der pauschalen Verwendung schwingt manche Ausdifferenzierung mit, die oft kritischen Zwecken geschuldet ist: Die «Institution», die solchermaßen als Angriffsfläche zur Verfügung steht, ist tendenziell groß und finanziell stärker als ihre Gegenüber. Darüber hinaus erfreut sie sich eines gesellschaftlichen und politischen Rückhalts, von dem sich der Einzelne [1] eingeschüchtert, eingeengt oder herausgefordert fühlt, solange sie ihn nicht durch adäquate Aufmerksamkeit «beschenkt». Ein in dieser Weise oberflächliches Mapping stellt allen individuell am Kunstsystem Beteiligten «die Institutionen» etwas erhöht gegenüber, und leistet damit einem paternalistisch-feudalen Bild Vorschub, in dem die «Institution» wahlweise Burg, Schloss oder Versorger sein kann, während sich die Künstler_innen aus den Rollenangeboten von Hofnarr, Bittsteller bis Hauslehrer bedienen können.
Dieser Text bietet eine grobe Rasterung des Institutionellen an, die nicht aus der Abgrenzung zu individuellen und temporären Handlungsformen besteht, sondern Abgrenzungen innerhalb des Institutionellen in den Vordergrund stellt. Als strukturierendes Element dienen vier Gegensatzpaare, die häufig in der rechtlich-organisatorischen Beschreibung von Organisationen verwendet werden. Inhaltliche Parameter der jeweiligen Programmierung treten für diese Form der Analyse temporär in den Hintergrund.
Klein oder Groß?
Der unspektakuläre Vorgang des Sortierens nach Größe eignet sich in vielen Lebensbereichen gut für einen schnellen Überblick. Die gängige Wirtschaftsdiskussion bezeichnet Organisationen mit bis zu 50 Mitarbeitern als «Kleinunternehmen». Überträgt man diese Messlatte auf das Kunstfeld, finden sich die meisten Museen auf der Seite der «Großen» und nahezu alle Kunst- und/oder Künstler_innenvereine und eine große Anzahl von Spezialorganisationen auf der Seite der «Kleinen», wobei wir Galerien hier nicht berücksichtigen, weil sie der gängige Sprachgebrauch nicht den «Institutionen» zuschlägt. Als Bindeglied zwischen den Welten der Davids und der Goliaths sind zahlreiche Kunsthallen positioniert, die sich sowohl diesseits wie jenseits der Kleinheitsgrenze finden. Diese Jokerrolle zwischen «klein» «mittel» und «groß», die sich hier aus der pragmatischen Anwendung einer wirtschaftswissenschaftlichen Kennzahl ergibt, findet ihre Entsprechung in der programmatischen und organisatorischen Verschiedenartigkeit, in der sich das Modell «Kunsthalle» jeweils manifestiert. Im Gegensatz zum Museum, definiert durch eine eigene Sammlung, bleibt «Kunsthalle» ein offenerer Begriff. Die Bezeichnung steht dem Kleinen ebenso offen wie dem Großen und gerade die Ex-Negativo-Definition des Fehlens einer Sammlung, eröffnet einen großen Spielraum für Positionierungen, die durch den Wechsel von Leitungsorganen auch einer ständigen Veränderungen unterliegen können. Die Wiener Landschaft bietet mit der parallelen Existenz der aktivistisch-aktiven Kunsthalle Exnergasse und ihrem «großen» Pendant der Kunsthalle Wien ein gutes Beispiel für die Nutzbarkeit des Begriffs auf beiden Seiten der «groß» und «klein» Demarkation.
Privat oder Öffentlich?
Die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen (im Sinne von: staatlichen, städtischen, kommunalen, etc.) Institutionen war bereits einmal einfacher. Vor der europaweiten Reform von Trägerschafts- und Organisationstrukturen im Zuge eines «New Public Management» seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren öffentlich finanzierte Organisationen meist auch körperschaftlich oder hoheitlich strukturiert. Museen waren häufig Abteilungen der zuständigen Ministerien und die Programmierung und Abwicklung von kommunalen Kulturaktivitäten erfolgte meist direkt aus den jeweils dafür zuständigen Kulturverwaltungen. Als «öffentlich» konnte daher bezeichnet werden, was staatlich finanziert und hoheitlich organisiert war. Schritt für Schritt wurden jedoch in vielen europäischen Ländern, die Kulturorganisationen in privatrechtlich organisierte Einheiten «ausgelagert», weswegen nunmehr «öffentlich» sein kann, was «privat» organisiert ist und explizit dazu aufgerufen ist, neue und zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Dennoch handelte es sich bei diesen Umstrukturierungen der Organisationsform nicht um «Privatisierungen», wie die Polemik manchmal lautet, da im Normalfall keine Eigentümerrechte abgetreten wurden. Doch die Kategorie des «Öffentlichen» geriet dennoch etwas ins Schwimmen, da die neuen Organisationsformen in Verbindung mit der Ausweitung der Finanzierungsoptionen zu einer Vervielfachung der «Stakeholder» führten. Diese verfügen zwar, anders als der herkömmliche «Shareholder», nicht über Eigentum, aber – etwa als Sponsoren, Dauerleihgeber und Kooperationspartner – dennoch über einen «Einsatz» (Stake) und den damit verbundenen Einfluss. Um einer gängigen Verkürzung entgegenzutreten, sei an dieser Stelle jedoch angemerkt, dass eine innovativere Konzeption von «Stakeholdership» ebenso das Publikum und andere Gemeinschaften mit besonderen Erwartungshaltungen an die Organisation umfasst.
Im deutschsprachigem Raum stehen dem in der beschriebenen Weise «öffentlich» organisierten Kunstbetrieb hauptsächlich der gesamte Kunstmarkt und seine Akteure und das Vereins- und Stiftungswesen gegenüber, mit lokalen Sonderformen, wie dem – bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts staatlich geführten – Wiener Auktionshaus Dorotheum oder öffentlich finanzierten Stiftungen, wie der Kulturstiftung des Bundes in Deutschland.
Schlägt man jedoch alle Vereine der Gruppe «privat» zu, zeigt sich die Unzuverlässigkeit der Zuordnung, wenn neben der internen Organisation nicht auch die Finanzierungsquellen in die Abwägung mit aufgenommen werden. Doch auch bei einem hohen öffentlichen Finanzierungsgrad, bezeichnen wir etablierte Künstler_innenvereine, wie das Wiener Künstlerhaus oder die Wiener Secession mit ihren von allen Mitgliedern gewählten Künstler_innenvorständen, nicht als «staatlich», «kommunal» oder «öffentlich». Andererseits bestand bis zu den Reformen der späten neunziger Jahre kein Zweifel daran, dass es sich bei den Wiener Festwochen um eine öffentliche Einrichtung handelt, unabhängig davon, dass dieses Festival als Verein organisiert war, bevor es in eine «zeitgemäßere» GmbH umgewandelt wurde.
Die Rechtsform und die Finanzierungsstruktur, stellen also, jeweils isoliert betrachtet, kein ausreichend präzises Kriterium für die Einordnung beliebiger Institutionen in die Kategorien von «privat» oder «öffentlich» dar. Allenfalls könnte als eindeutiges Entscheidungskriterium die Frage eingeführt werden, wer die rechtliche Macht hätte, die jeweilige Institution umzuwandeln oder aufzulösen. So könnten alle Organisationen dem «Privaten» zugeschlagen werden, die dies ohne «öffentliche» Beteiligung tun könnten, wie z.B. der Verein Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler Österreichs, der das Wiener Künstlerhaus führt. Zwar gebietet es der polit-ökonomische Realitätssinn, davon auszugehen, dass auch ein Förderstopp der öffentlichen Hand für derartige «Privatorganisationen» einem Auflösungsbeschluss nahe kommen könnte, dennoch erscheint die rechtliche Verfügungsmacht über die Organisationsform als einzig tragfähiges Unterscheidungskriterium: Es kann eben staatlich nicht verhindert werden, dass ein nicht mehr geförderter privater Kunstverein als Stammtisch weiterhin existiert, ebenso wie es derzeit noch unmöglich ist, Mehrheitseigentum an den «öffentlichen» Bundesmuseen zu erwerben.
Kommerziell oder Gemeinnützig?
Hier hilft der englische Sprachgebrauch, dessen Trennung zwischen «Profit» und «Nonprofit» auch jenseits rechtlicher Einordnungen eine klare Sprache spricht. Es sollte angenommen werden, dass dieses Unterscheidungskriterium im Bereich der Kunst leicht und exakt anwendbar wäre, stellt doch «Gemeinnützigkeit» eines der Grundprinzipien jener vielen institutionellen Akteure dar, die sich ausschließlich dem Sammeln, Ausstellen, Forschen und Vermitteln widmen, ohne Kunsthandels- oder andere Verkaufsaktivitäten zu entfalten. Wie fügen sich jedoch die allgegenwärtigen Shops, die Merchandisingprogramme und der Verkauf von Eintrittskarten in das Nonprofitbild, vor allem, wenn hin und wieder mit Großausstellungen, wie etwa mit dem MoMA Gastspiel in Berlin, sogar Gewinn erzielt wird? Wie vertragen sich die privaten Verkäufe der Künstler_innen in Zusammenhang mit einer Kunsthallenausstellung mit dem «Public Service», dem sich der gemeinnützige Sektor verpflichtet fühlt? Und wie kann überhaupt von der Absenz des Marktes im institutionellen Ausstellungswesen gesprochen werden, wenn kommerzielle Galerien nicht nur Produktionszuschüsse leisten, sondern die Museumsausstellungen ihrer Künstler_innen von der Finanzierung bis zur Dokumentation begleiten?
Trotz dieser Fragen und den vielfältigen Kooperationsformen ist es im Einzelfall meist möglich, die dahinterstehenden Akteure in ihren Rollen zu unterscheiden: Die operative Tragfähigkeit der Unterscheidung «kommerziell» und «gemeinnützig» wird dabei durch drei Faktoren gewährleistet: Erstens verbinden die meisten Rechtsordnungen Steuererleichterungen mit dem Begriff der Gemeinnützigkeit, weswegen auf formalrechtlicher Ebene klargestellt werden muss, in welcher Sphäre sich der jeweilige Player bewegt. So hält auch meist das Programm, was die Rechtsform verspricht: Der gemeinnützige Verein leistet sich tendenziell das finanziell Unergiebige, während die Galerie als Einzelunternehmer einen direkteren Bezug zwischen Ausstellung und Verkauf herstellen muss, um über die Runden kommen zu können. Zweitens – und hier hilft die englische Differenzierung des «Not-For-Profit» – spricht rechtlich nichts gegen die Erzielung von Gewinn, wenn nur die Verwendung des Gewinns, auf gemeinnützige Zwecke beschränkt bleibt. Ähnliches gilt, wenn die gewinnbringende Aktivität in einer Weise ausgelagert wird, dass sie die gemeinnützigen Aktivitäten nicht konterkariert.
Der nüchterne Vorgang des Auslagerns ist wohl auch die vorherrschende mentale Methode für die Beteiligten auf beiden Seiten der Abgrenzung, um mit der immanenten Widersprüchlichkeit umzugehen, dass der größere Teil jener Kunst, die von den «Gemeinnützigen» ausgestellt wird, davor, danach und währenddessen auch mit kommerziellen Interessen der jeweiligen Verwertungsbeteiligten belegt ist. Die häufig beschworene Trennlinie zwischen dem Gemeinnützigen und dem Kommerziellen ist somit nicht einer Mauer vergleichbar, die Ideologien trennt, sondern entspricht eher einer Hauptstraße mitten durch eine belebte Stadt. Sie bietet viele Kreuzungen, Brücken und Unterführungen an, und ihr Verlauf ermöglicht den Bewohnern sich wahlweise auf der einen oder anderen Seite des Highways zu verorten.
Mitglieder oder keine Mitglieder?
Mit der Frage nach der Rolle von Mitgliedern in der jeweiligen Organisation, eröffnet sich ein weites Feld, dessen Unübersichtlichkeit durch unterschiedliche Benennungen und erhebliche Diskrepanzen zwischen Papierform und operativer Praxis gekennzeichnet ist. Trotz allem gilt: Der Verein, als Rechtsform der Wahl für zivile Zusammenschlüsse ist ohne Mitglieder nicht denkbar. Somit stechen im deutschsprachigen Kunstfeld weiterhin die Kunstvereine als Besonderheit hervor, da sie kraft ihrer Mitglieder und ihrer Mitbestimmungsrechte über eine Rückbindung in die jeweilige kommunale Zivilgesellschaft verfügen, für die anderswo – etwa in den post-sowjetischen Ländern – erst Modelle gesucht werden. Trotz der häufig weitreichenden Folgen für das inhaltliche Profil spielt es für die rechtliche Abgrenzung keine Rolle, ob es sich um Vereine handelt, deren Mitgliedschaft Künstler_innen vorbehalten bleibt, oder ob diese Form von «Stake» prinzipiell jedem offensteht. In beiden Fällen – und dies ist der partizipative Kern des Modells – bleiben die Entscheidungen über die zentralen Lebensfragen der Organisation der Versammlung aller Mitglieder vorbehalten. Zwar müssen Mitgliederversammlungen in den bekannteren Kunstvereinen äußerst selten über Auflösung oder Fortbestand ihrer Häuser entscheiden, doch meist genügt die Beteiligung an Vorstandswahlen oder die Zustimmung zum Jahresabschluss um jenes Maß an Einfluss zu erlangen, das Mitglieder motiviert, für «ihre» Institution» ein höheres Maß an Anteilnahme zeigen. Für die Organisation der Teilhabe vieler Anspruchsgruppen ist noch immer wenig besseres erfunden worden, als die Mitwirkungsrechte «echter» Mitglieder in «echten» Vereinen. Die Betonung des «Echten» dient dazu, das Modell der rechtlich bindenden Mitbestimmung von jenen zahlreichen Fundraisingmodellen zu unterscheiden, die ihren Donatoren zwar «Membership» und damit verbundene Gratifikationen vermitteln, ohne dass damit eine Form von substanzieller Mitsprache verbunden wäre. Mitglieder schaffen – wenn man sie ernst nimmt – eine grundlegend verschiedene interne Organisationsrealität, auch wenn die alltäglichen Angelegenheiten in den kleineren Kreisen von (bestellten) Geschäftsführungen und (gewählten) Vorständen bearbeitet werden. Die vermeintliche höhere Effizienz der kleineren Kreise führte aber zu einer gewissen Erosion des Vereinsmodells, da – sowohl in großen wie auch in kleinen NPOs – häufig auf eine Mitgliederbasis verzichtet wird, und stattdessen die Vorstände die einzigen Mitglieder sind. Vereine berauben sich durch diese Entwicklung jedoch einer ihrer herausragendsten Eigenschaften und ihrer historischen Rolle, die in der freien Versammlung ähnlich Gesinnter zur Verfolgung ihrer Ziele liegt. Die historisch enge Verbindung mit der Forderung nach politischer Repräsentation, erklärt auch die Unverzichtbarkeit des Künstler_innenvereins, wie wir ihn, meist als «Künstlerhaus», z.B. in nahezu allen österreichischen Landeshauptstädten vorfinden. Österreichische Kunstvereine haben sich – anders als die Bürgervereine in Deutschland – vorwiegend als Künstler_innenvereinigungen konstituiert, und haben damit häufig auch die Funktion einer lokalen Interessens- bzw. «Standes»vertretung übernommen. Künstler_innenvereine bleiben die einzigen Orte im institutionellen Kunstfeld, in denen sich die häufig beklagte Machtlosigkeit von Künstler_innen in ihr Gegenteil verkehrt, wenn auch ihre interessenspolitischen Funktionen durch Aufspaltungen und neu gegründete IGs (Interessensgemeinschaften) abgeschwächt wurden. Leider dominiert der Wunsch nach handfesten praktischen Vorteilen für die Mitglieder (Ausstellungen, Arbeitsräume, Aufträge) häufig die Agenda von Künstler_innenvereinen und verhindert die Entwicklung von alternativen institutionellen Strategien.
Herausforderungen
Es stellt eine der Schlüsselaufgaben für Institutionen dar, auch für ihre innere «Verfassung» und die Schnittstelllen zur Öffentlichkeit neue Partizipationsangebote zu finden. Zwischen den Extrempolen der radikalen Basisdemokratie und den grenz-oligarchischen Managementmodellen der Privatisierungsapologeten eröffnet sich – vor allem für öffentliche Institutionen – weiterhin ein reichhaltiges Aktionsfeld, das noch viel zu wenig betreten scheint. Die dem feudalen Erbe geschuldeten Top-Down-Strukturen wurden noch selten grundlegend verändert, während Mitbestimmung und Teilhabe am institutionellen Geschehen entweder in die Interessensvertretungen abgedrängt wurde, oder nur denjenigen offensteht, die sich mit großen Summen die Möglichkeit dazu erkaufen.
Es wäre grundfalsch die Frage nach Mitbestimmung und Mitgliedschaft als ein Thema der Vergangenheit zu sehen. Als Fähigkeit einer Institution, die Teilhabe und damit auch die Loyalität unterschiedlicher Anspruchsgruppen zu ermöglichen und zu organisieren, könnten neue und alte Mitbestimmungsmodelle in fragileren Zeiten zu zentralen Tools für den Erhalt einer reichhaltigen institutionellen Landschaft werden.
[1] Wegen der hohen Zahl von Rollenbezeichnungen wurde für diesen Text – mit der Ausnahme von «Künstler_innen» – auf gendergerechte Schreibweisen verzichtet, um die Lesbarkeit zu erleichtern.
(Juli 2012)